Freitag, 5. März 2010

Der ist ja plemplem

Auf Empfehlung einer Freundin war ich letzten Mittwoch bei einem Osteopathen, der mir die Wirbelsäule wieder gerade richten sollte. Dass diese Behandlung der Ausgangspunkt für ein Erlebnis der anderen Art sein sollte, konnte mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst sein.

Die Behandlung verlief zügig und soweit erfolgreich, ich fühlte mich gleich danach wieder "eingerichtet". Der Therapeut empfahl mir allerdings dringend, dass ich unmittelbar danach nicht Rad- oder Autofahren und am besten mindestens 20 Minuten lang spazieren gehen sollte. Nachsatz: Und das ganze, so langsam wie nur irgendwie möglich.

So begab ich mich aus der Ordination in der Porzellangasse auf einen möglichst langsamen Spaziergang in Richtung erster Bezirk. Um nicht sonderlich aufzufallen bewegte ich mich in der Form, die man sicherlich von sich selbst kennt, wenn man genüßlich auf und ab geht, wenn man z.B. auf etwas oder jemandem wartet. Derart unverfänglich - wie ich meinte - bewegte ich mich langsam und genüßlich durch die Straßen in Richtung Wipplingerstraße. Jede Ampel wurde aber rasch zur Herausforderung, da die Grünphasen - wie ich bemerkte - keineswegs ein derart langsame und genüßliche Schrittgeschwindigkeit förderten.

Mir fiel bald auf, wie rasch sich alle Menschen in dieser Stadt bewegen. Langsames, gemütliches Überqueren eines Schutzweges ist aufgrund des enormen Drucks abbiegender Fahrzeuge selbst im Grünfall so gut wie unmöglich. So schloss ich für mich den Kompromiss, dass ich beim Überqueren eine angemessen schnelle und für meine vor kurzem reparierte Wirbesäule trotzdem akzeptable Geschwindigkeit wählte. Schnell genug, um die Autofahrer nicht zu verärgern und auf der anderen Straßenseite danach wieder in das gemütliche Schlendern zurückzukehren.

Wie gesagt, eine neue Erfahrung, diese Stadt in slow-motion ein Stück zu bewältigen. Nach rund 30 Minuten war ich mit meiner Langsamkeit richtig in Fahrt gekommen und genoss es sehr, mal auf diese Weise durch die Stadt zu tingeln. Man nimmt auf einmal Dinge wahr, die wären mir sonst niemals aufgefallen. Ist grundsätzlich jedem mal zu empfehlen, der diese Stadt auf andere Art zu entdecken bereit ist.

Neues-Bild1Am Hohen Markt - Ecke Wipplinger Straße angekommen stand ich wieder vor einem Schutzweg und bemerkt schon zuvor, dass die Grünphase extrem kurz für Fußgänger war. Kaum auf Grün geschaltet, begann sie schon wieder zu blinken. Selbst in normaler Geschwindigkeit ist die Überquerung kaum zeitgerecht zu schaffen.

Beschleunigt schlenderte ich bei Grün trotzdem los und schaffte es rechtzeitig ohne jemanden zu behindern und ohne Druck seitens der Autofahrer auf die andere Gehsteigseite beim Würstelstand. "Der ist ja plemplem!" sagte plötzlich jemand neben mir und ich sah mich um, wer da wohl gemeint war. Ich stellte fest, dass die Worte vom Mund des Mannes eines älteren Ehepaars kamen und als ich ihm in die Augen sah, wiederholte er, seine Innenhandfläche vor seiner Stirn winkend und gestikulierend: "Sie sind ja plemplem!" Seine in Pelz gekleidete Frau nickte fleißig zustimmend in stetiger Abwechslung mit bestürztem Kopfschütteln.

Ich war sprachlos. Die beiden meinten mich! Ich bin der, der hier plemplem ist.
"Wie kommen Sie dazu, mich als plemplem zu bezeichnen?" stammelte ich. Ich war fassungslos. In Bruchteilen von Sekunden war meine über mittlerweile 40 Minuten aufgebaute Gelassenheit dahin. Ich starrte die beiden an und wiederholte meine Frage. Die beiden bildeten - an den Armen eingehängt eine feste solidarische Verbindung und auch ihr äußerliches Erscheinungsbild lies darauf schließen, dass sie ihre eingeschränkte Sichtweise auf diese Welt ihr Eigen nennen und bedingungslos teilten. "Wie man so dumm über den Zebrastrefien gehen kann, wo doch schon Rot war!" murmelten sie vor sich hin. Noch immer war ich fast sprachlos und meine sonst durchaus vorhandene sprachliche Eloquenz lag irgendwo neben der Gehsteigkante.

Mittlerweile war wieder Grün geworden und die beiden überquerten nun ihrerseits den Schutzweg in die andere Richtung. Irgendwas schrie ich den beiden noch nach, ich weiß nicht mehr was es genau war. Es war jedenfalls nicht nett.

Die beiden schafften es übrigens nicht, rechtzeitig vor Rot auf der anderen Seite bei der Hypobank anzukommen.


Epilog
Das Ereignis geht mir seit Tagen nicht aus dem Kopf, weil es für sovieles steht in dieser Gesellschaft. Die Fähigkeit, andere zu respektieren wie sie sind. Zu seiner eigenen Langsamkeit zu stehen und wie Umgehen mit Menschen, die anders sind als man selbst. Wahrscheinlich für noch vieles andere mehr.

Ich musste kurz danach beim Würstelstand am Hohen Markt herzhaft lachen. Über mich, über die beiden Alten, über die Welt.

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